Now you tip me.

Wie versprochen steht Sun schon um 5.30 Uhr bereit, bereitet Kaffee und Toast. Sein Neffe und er bringen mich samt Gepäck zur Straßenkreuzung. Wir verabschieden uns. Leise Wehmut durchzieht mich.

Ein wenig muss ich noch warten. Zeit genug, dass mir die Warnungen Suns durch den Kopf gehen: „Sag, dass Du schon oft in Kambodscha warst. Nimm nicht einfach Hilfe an. Lass Dich auf nichts ein …“

Im Minibus sitzt schon ein französisches Pärchen. Er wird uns bis zur Grenze bringen. Auf der anderen Seite erwartet uns ein weiterer Bus. Als Erkennungszeichen bekommen wir einen Aufkleber an die Brust geheftet.

Je näher wir in den vier Stunden Fahrzeit an die Grenze herankommen, desto häufiger gehen mir Suns Warnungen durch den Kopf. Wie einfach es dagegen doch in Thailand war!

Schließlich halten wir. Kaum sind wir ausgestiegen, als sich auch schon ein Mann dazugesellt, der die Fahrerin begrüßt. Er komme, um uns über die Grenze zu begleiten. Nur kurz stelle ich das innerlich in Frage, doch da die Fahrerin und er sich zu kennen scheinen, jage ich meine Zweifel davon.

Ein Mann mit einer Handkarre erscheint. Er bietet an, unser Gepäck für 200 Baht (circa 7 Euro) über die Grenze zu bringen Je öfter wir ablehnen, desto stärker sinkt der Preis. Schließlich sind wir bei 20 Baht angekommen. Trotzdem tragen wir unser Gepäck lieber selbst.

Zuerst müssen wir auf thailändischer Seite ausreisen. Dafür geht es an einen Schalter, vor dem sich eine kleine Schlange gebildet hat. Als ich an der Reihe komme, trete ich vor und reiche meinen Reisepass herüber.

Als ich darauf am Schalter stehenbleibe, werde ich von einem Helfer barsch angegangen, zurückzutreten. Der Grenzer hinter dem Schalter beäugt meinen Pass mit strenger Miene. Es scheint eine kleine Ewigkeit zu dauern, bis er den Ausreisestempel hineindrückt.

Als die anderen die Prozedur durchlaufen haben, gehen wir gemeinsam durch das Niemandsland, während der Helfer uns erklärt, was wir als nächstes zu tun haben.

Die ausgebaute Straße endet auf thailändischer Seite und geht in eine Schotterpiste über.

Auf kambodschanischer Seite werden wir zu einem Grenzhäuschen gelotst. Der Helfer sammelt unsere Pässe ein und verschwindet an einem Schalter, von dem er kurz darauf mit Formularen zurückkehrt. Sofort beginnt er, diese auszufüllen.

Gerade noch rechtzeitig trete ich hinzu. Mein Nachname hat schon auf thailändischer Seite für manche Probleme gesorgt. Wie oft habe ich über das „ä“ und das „ß“ geflucht. Hier wird das regelmäßig in „a“ und „B“ übersetzt, was dann natürlich wieder zu Schwierigkeiten führt.

Als er mit dem Ausfüllen fertig ist, verschwindet er in einer Amtsstube. Nach fünf Minuten ist er zurück. „Die machen gerade eine Dienstbesprechung“, wird uns mitgeteilt. Wir müssen warten.

Schließlich werde ich in das Zimmer hineingerufen. Vor mir sitzen drei Beamte in einem dunkelbraun getäfelten Zimmer mit dem rustikalen Charme der 70er Jahre. Es riecht muffig mit einer maskulinen Note im Abgang. Die Grenzer sitzen an kastenförmigen Schreibtischen, die in einem Winkel aneinandergestellt sind.

Der älteste und höchstrangige fordert mich auf, Platz zu nehmen. Seine buschigen Augenbrauen stechen hervor. Wortlos trifft mich sein streng musternder Blick.

Er will wissen, was ich in Kambodscha vorhabe und wie lange ich bleibe. Er verbreitet die Atmosphäre eines Verhörs, bei dem ich der Hautverdächtige bin.

Widerwillig trägt er schließlich die Daten in den Visumsaufkleber ein. Dann fordert er mich auf, 1.700 Baht zu zahlen. Ich bin verwirrt, hatte ich doch gelesen, dass das Visum 30 Dollar kostet. Als ich nachfrage, ob ich nicht der amerikanichen Währung bezahlen kann, fordert er 37 Dollar.

Als ich sage, dass ich dann lieber in Baht bezahlen möchte, hellt sich seine Miene sichtlich auf. Er beginnt sogar zu scherzen und lacht, während er den Pass an den zweiten Beamten weiterreicht.

Dieser klebt das einseitige Visum in den Pass und lässt sich das Geld geben, worauf er den Pass an den dritten weiterricht. Der fotografiert ihn und händigt ihn mir aus.

Erleichterung macht sich in mir breit. Als ich später noch einmal nachrechne, wird mir der Grund für den Stimmungsumschwung der Beamten bewusst: Ich habe gerade umgerecht 41 Dollar bezahlt.

Als ich wieder nach draußen trete, raunt der Helfer mir zu: „Now you tip me.“ Wieviel er denn haben wolle. 20 Dollar. Das halte ich für schwer übertrieben. Er gibt sich mit 200 Baht zufrieden.

Kaum haben wir unser Einreisevisum, hat unser Helfer eine Hiobsbotschaft für uns bereit: Der Bus habe ein Problem und kann frühestens um 14 Uhr da sein. Drei Stunden Wartezeit! Aber er könnte für 200 Baht ein Taxi besorgen, das sofort losfahren würde.

Das Pärchen lehnt ab. Ich kalkuliere: Es ist noch weit bis Sihanoukville. Wenn wir erst so spät weiterfahren, sind wir nicht vor 20 Uhr dort. Ich gebe ihm die 200 Baht, nachdem er versichert hat, dass uns das Taxi bis zu unseren Hotels bringt.

Ob ich noch eine Simkarte mit Internet brauche, fragt er. Ich erkläre ihm, welche ich haben will: eine Cellcard für 14 Tage für 5 Dollar. Er führt mich zu einem Stand.

Eine alte Frau holt eine Plastikkarte hervor, auf der „1 Dollar“ zu lesen ist. Sie bricht die Simkarte heraus und setzt sie in mein Telefon ein. Gerade kann ich sie noch daran hindern, meine deutsche Simkarte wegzuwerfen.

Wieder verlangt der Mann 200 Baht. Ich überlege kurz, sage jedoch nichts und zahle. Am Abend werde ich herausfinden, dass ich tatsächlich eine Karte für einen Dollar erhalten habe, die nur einen Tag gültig ist.

Als wir den Minibus erreicht, der Fahrer unsere Sachen eingeladen und uns ein Wasser gereicht hat, flüstert auch dieser: „Now you tip me.“ Ich tue, als hätte ich es nicht gehört und steige entnervt ein.

Der Helfer verabschiedet sich mit einem Schulterklopfen und versichert, dass es mit dem Taxi keine Probleme geben werde. Muss ich noch erwähnen, dass wir in genau dem Minibus weiterfahren, der die ganze Zeit für uns bestimmt war?

Wir passieren noch einen Checkpunkt, bei dem unsere Pässe geprüft werden und der Fahrer der Polizei Geld zusteckt. Dann können wir endlich losfahren.

Die nächsten zwei Stunden fahren wir über eine Piste, die von tiefen Schlaglöchern durchsetzt ist. Mehr als einmal müssen wir anhalten, wobei der Fahrer die Reifen und die Hinterachse prüft. Trotzdem wird sich auf alle möglichen Arten gegenseitig überholt, Verkehrsregeln scheint es nicht zu geben.

Nach der Grenze

Nach zweieinhalb Stunden Fahrt schaue ich nach, wie weit wir gekommen sind. Ganze 40 km. Rasch kalkuliere ich, dass wir bei dieser „Geschwindigkeit“ gegen 23 Uhr unser Ziel erreichen werden.

Rot erstreckt sich flaches Land zu beiden Seiten. Mit fällt es schwer, mich daran zu erfreuen. Die Grenzerlebnisse klingen nach und es macht Mühe, sich nicht über sich selbst zu ärgern.

Irgendwo steigt noch jemand hinzu. Schließlich machen wir an einer kleiner Gaststätte Halt. Der Fahrer schaut in die verschiedenen Töpfe und wählt etwas aus. Ich mache es ihm nach. Wir essen gemeinsam und probieren vom jeweils anderen.

Er ist freundlich. Während er auf Toilette ist, beschließe ich, für ihn mitzuzahlen. Ich bitte eine junge Frau um die Rechnung, die mich erstaunt anblickt und dann jemanden herbeiwinkt.

Ob ich für ein oder zwei Essen zahlen wolle? Ich zahle beide und werde später herausfinden, dass bei solchen Fahrten das Essen immer inbegriffen ist.

Die Straße wird besser, wir kommen rascher voran. Immer mehr Kambodschaner steigen zu. Neben normalem Gepäck haben sie große Kisten und Taschen dabei. Immer wieder muss der Kofferraum aus- und wieder eingeladen werden. Irgendwann ist der Bus brechend voll.

Gegen 18 Uhr erreichen wir Sikanoukville. Der Fahrer hat keine Ahnung, wo mein Hotel ist. Ich werfe Google Maps an und lotse ihn. Der Weg führt uns durch immer heruntergekommenere Viertel bis wir auf eine Schlammstraße abbiegen und zwischen Bauruinen zum Stehen kommen.

Hier schaut selbst der Fahrer ungläubig. Doch, da links ist ein kleiner Eingang mit dem Schild „Pappa Pippo“. Mir war das Hostel empfohlen worden. Und tatsächlich. Als ich durch das Tor trete, erwartet mich eine kleine Oase.

An der Bar begrüßt mich fröhlich Mikey, der Eigner des Hostels. Ich bekomme ein solides Zimmer und finde mich bald darauf wieder an der Bar ein. Ein eiskaltes Bier und die Freundlichkeit von Mikey, der während unseres Gespräches einen Joint raucht, vertreiben bald die Trübnis der letzten Stunden.

Mikey ist halb Engländer und halb Italiener. Zum Abendbrot empfiehlt er mir seine hausgemachte Pasta. Und tatsächlich steht bald ein Teller dampfender Nudeln und frisch geriebener Parmesan vor mir. Köstlich!

Den weiteren Abend verbringe ich an der Bar. Ein vielgereister Schiffskoch, der ziemlich high ist, Mikey und ich tauschen Anekdoten aus. Dann noch schnell ein Tuktuk für morgen früh bestellen, das mich zur Fähre nach Koh Rong bringen wird.

Wieder versöhnt mit den Erlebnissen des Tages falle ich gegen Mitternacht ins Bett.

2 Antworten zu „Now you tip me.”.

  1. Tolle Erlebnisse, tolle Texte, Fotos/ Videos, selbst beim Lesen aufregend 👏

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    1. Wie schön, vielen Dank!

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