Reif für die Inseln.

Ich nehme die erste Fähre nach Koh Rong. Am Anleger herrscht buntes Treiben: Vor dem Schnellboot stapeln sich zahlreiche Kisten mit Fischen, Säcke mit Gemüse und Pakete. Selbst Motorenteile scheinen dabei zu sein. Und Händler schleppen immer noch mehr heran. Die Crew hat die Aufgabe, das irgendwie samt unserem Gepäck in Verschlägen und auf Deck zu verstauen. Erst dann dürfen wir den schmalen, noch verbliebenen Weg die Kabine betreten.

Wir erreichen Koh Rong eine ¾ Stunde später. Schon von weitem grüßt der weiße Sand, für den diese und ihre Nachbarinsel bekannt sind. Auf dem engen Pier wartet schon ein schmächtiger Fahrer mit seinem kleinen Motorrad auf mich. Er nimmt meinen kleinen Rucksack zwischen seine Beine und ich setzte mich mit meinem großen Rucksack auf dem Rücken hinten drauf. Die Hinterradgabel federt so stark ein, dass der Kolben gut hörbar kurz gegen den Endanschlag stößt.

So bepackt, sucht sich der Fahrer geschickt den Weg zwischen Waren und wuselnden Menschen. Dabei schlingert das langsam fahrende und deutlich überladene Gefährt bedrohlich hin und her. Als wir den Strand erreichen, biegt er auf diesen ab. Er fungiert auf der Insel vielerorts als Straße. Kleine Bäche durchschneiden immer wieder den Sand. Dort muss ich absteigen und hindurchwaten, während er hinüberfährt.

Am Ende des Strandes erreichen wir „White Beach Bungalows“, wo mich David erwartet. Zur Begrüßung serviert er mir ein eiskaltes Bier. Es ist morgens um 10.30 Uhr. Ich tausche es dann doch lieber gegen eine Cola ein.

Dann zeigt er mir meinen Bungalow, keine 20 Meter vom Strand entfernt und von den Bäumen des angrenzenden Dschungels herrlich beschattet.  Bevor er geht, warnt er mich vor den Affen, die alles, sei es Laptop oder Chipstüte, mitnehmen, was für kurze Zeit unbeaufsichtigt auf der Terrasse liegt. Ich sehe mich um, doch kann ich sie weder sehen und hören.

„Ach ja, wir haben hier übrigens eine Stromsperre auf der Insel. Jeden Tag zwischen 11 und 13 und zwischen 17 und 18 Uhr“, fügt er noch hinzu. Jetzt aber schnell umziehen, Sonne, blendend weißer Strand und das Meer rufen.

Am Abend regnet es, so dass ich im Restaurant des Hotels sitze. Viel ist nicht los. Der Kellner kommt mit mir ins Gespräch. Er ist an den Kamerafähigkeiten meines Handys interessiert. Ausgiebig probiert er die Funktionen und prüft die Resultate. Er möchte sich das gleiche Modell kaufen und spart schon seit einiger Zeit dafür.

Am folgenden Tag unterhalten wir uns gerade wieder, als er plötzlich aufspringt und zu schreien beginnt. Eine ganze Horde von Affen scheint einen Überfall geplant zu haben. Laut kreischend fallen sie an vielen Stellen gleichzeitig über die Bungalows her. Während die meisten aus den Palmen krachend auf die Dächer der Bungalows springen, lassen sich andere auf den Boden fallen und attackieren die Mülleimer.

Schreiend rennt das Personal über das Gelände und klatscht in die Hände. Einige sind mit Besen und Stöcken bewaffnet. Die Affen zeigen sich wenig beeindruckt und wechseln lässig zwischen den Gebäuden hin und her, indem sie auf den dazwischen gespannten Stromkabeln balancieren.

Nach 5 Minuten ist der Spuk vorbei. Einige große Müllbeutel haben sie erobert, diese oben in den Bäumen zerpflückt und alles nicht Brauchbare heruntergeworfen. Sprachlos beobachte ich den Überfall.

Im Laufe der Tage werde ich mich an das Schauspiel, das mittags und am frühen Abend stattfindet, gewöhnen. Selbst wenn ich nur kurz die Terrasse verlasse, um etwas aus dem Bungalow zu holen, klemme ich mir alles unter den Arm, denn nicht immer treten die Affen in der lautstarken Horde auf.

Als ich eines Tages dort vor meinem Bungalow sitze, höre ich einen Schlag auf dem Dach. Sekunden später sitzt ein ausgewachsenes Männchen vor mir auf dem Geländer und faucht mich mit seinen scharfen, blitzenden Zähnen an. Er hat es auf mein Feuerzeug abgesehen. Ich nehme meinen Mut zusammen, baue mich auf und schreie ihn an. Schließlich gibt er nach und trollt sich knurrend.

Die Tage vergehen mit Strand, Sonne, Baden und atemberaubenden Sonnenuntergängen.

Wenn es regnet, sitze ich im Restaurant und plaudere mit Rahu Chi, dem jungen Kellner, der von allen nur Hu genannt wird. In seiner Sprache bedeutet das Mondfinsternis. Als ich ihn eines Tages frage, ob er eine Freundin hat, zeigt er verschämt auf sein regenbogenfarbenes Armband. Das war mir vorher nicht aufgefallen.

Nach einiger Zeit findet er die Sprache wieder und flüstert: „I like men.“ Als ich nachfrage, ob er denn einen netten Freund hat, bejaht er dies und wundert sich, dass ich mich mit ihm freue.

In Kambodscha ist Homosexualität offiziel eine Straftat. Zwar werde das Gesetz nicht angewandt, doch die Menschen schauen mit großer Verachtung auf gleichgeschlechtliche Pärchen. In ihre Familien dürfen sie ihre Partner niemals mitbringen. Das bringt Schande.

Im Laufe der Zeit erzählt mir der jetzt 28-Jährige seine Lebensgeschichte. Er ist als Vollwaise aufgewachsen. Seine Eltern sind an Aids verstorben, als er noch ein Baby war. Nicht einmal ein Foto ist ihm von ihnen geblieben. In so einem Fall kümmern sich eigentlich Tanten und Onkel um das Kind. Doch die Angst, geboren aus Unkenntnis, sich selbst anzustecken zu können, führte dazu, dass er in ein Waisenheim abgschoben wurde.

Dort wuchs er mit 500 Anderen auf. Tests zeigten schließlich, dass die Krankheit nicht auf ihn übergegangen war.Trotzdem lehnten die Verwandten die Aufnahme des Kindes weiterhin ab.

Das Heim wurde von den 7-Tage-Adventisten geführt. Unterricht, Gottesdienste, Gebete und Bibelstunden bestimmten den Tag. Immer wieder hörte er dort, dass Gott die Liebe zwischen Männern nicht nur verachte, sondern es sich dabei sogar um eine Todsünde handle.

Und dann sagt er mir: „Wie gerne würde ich Christ sein, aber ich kann nicht sündig vor Gott treten.“ Tränen strömen über sein Gesicht. Rasch dreht sich weg, entschuldigt sich, er müsse arbeiten und geht. Mir bricht das Herz.

Bei einem weiteren Gespräch, es ist gerade die mittägliche Stromsperre, erzählt er mir seine weitere Geschichte: Mit 21 Jahren musste er das Heim verlassen. 50 Dollar Startkapital erhielt er. Das reicht für einen Monat Miete. Also teilte er sich mit anderen ein Zimmer und begann, in der Gastronomie zu arbeiten.

Mit der Zeit gelang es ihm, in etwas besseren Restaurants eine Stellung zu finden. Er konnte ein wenig Geld beiseite legen und endlich allein wohnen.

Arbeitsbedingungen sind hart in Kambodscha: 7-Tage-Woche, 3 Tage frei im Monat. An Urlaub, geschweige denn bezahlten, ist nicht zu denken. Hier im White Beach Bungalows seien die Bedingungen besonders gut, so fährt er fort. Hier bekomme er 250 Dollar im Monat (rund 100 Euro mehr als an anderen Orten). Essen und Unterkunft sind frei.

Selbst während der Pandemie, als niemand kam, habe er Kost und Logie, wenn auch kein Gehalt erhalten. Dabei sei ihm besser ergangen als vielen anderen, berichtet er.

Seinen Freund hat er vor einigen Jahren kennengelernt: einen Sugardaddy aus der Schweiz. Seitdem träumt er von Bergen, Schnee und europäischen Verhältnissen. Im Laufe der Jahre ist das Verhältnis lockerer geworden. Sie haben nur Kontakt zueinander, wenn er auf der Insel ist.

Einmal Deutschland zu besuchen, ist sein Ziel. Die Menschen seien freier dort. Am besten wäre es, wenn er dortbleiben könnte. Und Schnee gäbe es dort auch! Bisher reicht sein Erspartes für eine Woche Pauschalurlaub in Deutschland. Aber es soll mehr werden. Bald möchte er ein kleines Business eröffnen, um noch mehr zu verdienen.

Dann vertraut er mir noch an, dass er am liebsten Hu Black genannt wird. Schwarz sei eine Farbe, die Respekt und Furcht einflöße, was auch bei einer Mondfinsternis geschehe. In seiner Freizeit trägt er nur Schwarz.

Als ich nach vier Tagen die Insel verlasse, verabschieden wir uns schweren Herzens voneinander.

Leb wohl, mein Freund. Ich wünsche Dir das Beste. Mögen Deine Träume Wirklichkeit werden, Hu Black!

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