Face Your Fears.

Als ich Koh Rong verlasse, schüttet es. Auf der Nachbarinsel, Koh Rong Sanloem, will ich tauchen gehen. Vor 7 Jahren habe ich die Lizenz erworben und bin seitdem nie mehr mit Gerät unter Wasser gewesen. Während mich der gleiche Fahrer, der mich vor ein paar Tagen abgeholt hatte, mit seinem kleinen Motorrad zum Pier bringt, hänge ich meinen Gedanken nach:

Damals, bei dem Open-Water-Diver-Kurs, hatte ich unter Wasser bei einigen Grundübungen mehr Ängste entwickelt, als ich mir jemals hätte vorstellen können. Ich habe immer gerne getaucht und hatte eigentlich erwartet, dass mir das Gerätetauchen neue Freiheitsgrade eröffnen würde.

Nun bin ich entschlossen, die Sache erneut anzugehen und meine Erfahrungen zu überprüfen. Deshalb habe ich einen eintägigen Auffrischungskurs gebucht. Danach kann ich immer noch entscheiden.

Sowohl mein Hauptrucksack als auch ich sind völlig durchnässt, als wir das Pier erreichen. Als ich in Deutschland packte, hatte ich noch gedacht: „Wozu eine Regenhülle mitnehmen? Ich fahre ja in die Sonne …“

Ein Schnellboot bringt mich zur Nachbarinsel. Der weiße Strand, genannt „Saracan-Bay“, ist 4 km lang. Etwa in der Mitte liegt meine Unterkunft und die Tauchschule.

Dort begrüßt mich Roth, meine Tauchlehrerin für den Kurs. Nachdem der Papierkram erledigt ist, sagt sie: „Come, I want to check your body“. Das kann man jetzt so oder so verstehen.

Sie führt mich zu dem Raum mit dem Equipment. Nach der Anprobe diverser Anzüge, Flossen und Gewichtsgürtel kommt alles in eine Kiste, bereit für den nächsten Tag.

Am Abend sitze ich auf der Veranda vor meiner Hütte, schaue dem strömenden Regen zu und versuche eine positive, unvoreingenommene Haltung für das zu finden, was mich erwartet. Das Quaken von paarungsbereiten Ochsenfröschen singt mich in den Schlaf.

Regenzeit

Am nächsten Morgen stehe ich mit Herzklopfen in der Tauchschule. Ich treffe Corina, die den gleichen Kurs gebucht hat. Wir fahren zusammen mit einigen anderen zum Tauchboot hinaus, das uns zu einem Korallenriff bringen wird.

Während der ¾stündigen Fahrt erzählt mir die 25Jährige, dass sie ebenfalls vor 7 Jahren die Lizenz erworben habe und seitdem nicht mehr getaucht sei. Wenn das nicht die ideale Voraussetzung für Tauchbuddies ist.

Roth erklärt uns die ersten Schritte des Refresher-Kurses. Es sind genau die Übungen, bei denen damals die Panik zugeschlagen hatte. Mein Herz schlägt deutlich schneller.

In der Bucht angekommen springen wir nacheinander von Bord und Roth gibt das Kommando zum Abtauchen. Durch das klare Wasser sinke ich herunter. Mein Herz rast und ich ziehe hastig Luft ein. Doch mein Verstand will einfach nicht akzeptieren, dass ich unter Wasser atmen kann.

Blut pocht dröhnend in meinem Kopf und ich sehe keine andere Möglichkeit, als Druck auf die Tarierweste zu geben und wieder aufzutauchen. An der Wasseroberfläche schnappe ich nach Luft wie ein Fisch an Land.

Roth und Corina folgen mir. Roth fragt mich, was los sei. Peinlich berührt erkläre ich, was passiert ist. Am liebsten möchte ich im Boden versinken. Während ich versuche, die Panik in den Griff zu bekommen, scheinen die beiden alle Zeit der Welt zu haben.

Schließlich geht es wieder hinunter. Ich komme bis auf den Boden hinab und wir beginnen mit „Maske ausblasen.“ Dafür kippt man die Tauchmaske unten an und lässt langsam Wasser hineinlaufen. Sobald das Wasser meine Nase erreicht, weigert sich mein Kopf wiederum zu akzeptieren, dass ich durch den Regulator im Mund ruhig weiteratmen kann und keine Gefahr besteht.

In heißen Wellen steigt Panik in mir auf, macht jedes überlegte Handeln unmöglich. Immer wieder lasse ich Luft durch die Nase strömen, aber das Wasser in der Maske will nicht weichen. Gerade schaffe ich es noch, das Zeichen zum Auftauchen zu geben und gebe so viel Luft auf die Tarierweste, dass ich geradezu hinaufschieße.

Nicht lange und die beiden folgen mir wieder. Roth erklärt mir, dass ich die Maske einfach zu weit von meinem Gesicht abgekippt habe, so dass die Luft immer wieder entweichen und dadurch das Wasser nicht herausdrücken konnte.

Ein drittes Mal geht es herunter und wir machen eine Rettungsübung. Und schon ist sie da, die dritte Panik. Mein Kopf weiß genau, dass es dafür keinen Grund gibt. Ich habe Luft! Und trotzdem. Ich tauche auf. Diesmal bleibt Corina am Boden und nur Roth folgt mir.

An diesem Punkt angekommen, bin ich bereit, aufzugeben. Ich habe das Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten komplett verloren. Und um ehrlich zu sein, dass gerade zwei Frauen auch noch Zeugen meiner „Unfähigkeit“ sind, macht die Sache nicht besser.

Doch dann kommt Roth nah an mich heran. „You can do this!“ Ihr Gesicht ist nur 10 cm von meinem entfernt. Sie nimmt meine Hand und wir tauchen gemeinsam ab. Nichts von der Umgebung kann ich sehen. Da ist nur ihre Maske. Und ihre Augen strahlen Verständnis und Zuversicht aus, während wir langsam hinabgleiten. Auf dem Boden angekommen, absolviere ich die Übungen und nun kann es endlich losgehen.

Bei einer Sicht von 2 Metern dürfen wir uns nicht weit von der Tauchlehrerin entfernen. Dabei schwebt Corina formvollendet durch das Wasser. Ich hingegen habe deutliche Probleme sowohl mit der Höhen- als auch der Richtungskontrolle. „Mensch, die Frau hat die gleichen Vorerfahrungen wie ich. Und ich kämpfe mich hier ab, während sie alles mühelos meistert.“

Erst gegen Ende des ersten Tauchgangs gelingt es mir, mich etwas zu entspannen. Doch das Finimeter zeigt Reserve. Ich gebe das Zeichen zum Auftauchen. Die Flaschen der beiden sind noch mehr als halb gefüllt. Mit Angst verbraucht man wahnsinnig viel Luft.

Wieder an Bord gibt es Mittag. Das Boot fährt zu einer anderen Bucht und der nächste Tauchgang steht bevor. Zwar lauert die Angst im Hintergrund, doch es gelingt mir, sie zu akzeptieren und dadurch ein wenig die Kontrolle zu behalten. Das verschafft mir die Möglichkeit, mir während des Tauchens ein bisschen die Umgebung ansehen.

Nach dem zweiten Tauchgang ist mir klar: Ich mache morgen weiter! Corina will auch kommen. Ich bin froh, dass sie dabei ist. Sie gibt mir zusätzlichen Halt.

Als wir in der Tauchschule sitzen und unsere Logbücher ausfüllen, sehe ich in ihrem viele verschiedene Stempel. Sie ist nach ihrer Lizenz noch viele Male getaucht, nur die letzten Jahre nicht. Ich bin erleichtert: Das erklärt ihr Können.

Schon am frühen Abend melden sich die Sehnen der Schultern. Ich habe viel zu viel mit den Armen herumgerudert, um den Kurs zu halten. So finde ich keine Schlafposition, bei der es nicht wehtut. Das muss ich morgen unbedingt besser machen!

Am nächsten Tag brechen wir in ein anderes Tauchgebiet auf. Der Wind hat zugelegt und das Boot geht in den Wellen auf und ab. Corina kämpft mit Seekrankheit. „Wenigstens eine Sache kannst du besser“, flüstert mir verschwörerisch mein Verstand zu.

Als wir ankommen, ziehen wir die Neoprenanzüge an. Doch wir müssen warten. Ein Pärchen absolviert einen Tieftauchgang, da dürfen wir mit unserer Ausbildung nicht mit. So sitzen wir frierend in den nassen Anzügen an Bord.

Fast eine Stunde, dann geht es für uns los. Ich konzentriere mich auf die richtige Atmung, Höhen- und Richtungskontrolle. Und nach einer Viertelstunde beginnt es, Spaß zu machen. So elegant wie Roth und Corina kriege ich es zwar nicht hin, aber Fortschritte sind deutlich.

Beim vierten Tauchgang weiß ich endgültig, dass das Tauchen doch etwas für mich ist. Wenn auch die Sicht durch viele Schwebestoffe eingeschränkt ist, betrachte ich Korallen, herrlich bunte Fische sowie die mit langen 20 cm langen Stacheln versehenen tiefschwarzen Seeigel, auf deren Schale in der Mitte ein blaues Kreuz hervorleuchtet. Und auch manch größerer Fisch lässt sich blicken.

Corina will am nächsten Tag nur einen Nachttauchgang machen, während ich zusätzlich noch bei Tag tauchen möchte. Doch aus den Plänen wird nichts, denn die Nacht bringt einen Tropensturm, der auch den nächsten Tag anhält.

Außerdem hat sich Corina erkältet, so dass sie gar nicht tauchen könnte. Und am darauffolgenden Tag wird sie abreisen. Wie schade, wir waren ein echt gutes Team!

Am nächsten Tag bin ich der Einzige, der tauchen gehen will. Neben Roth stößt noch Paul, ein weiterer Tauchlehrer, dazu. Was für ein Glück, jetzt gehe ich gleich mit zwei Profis tauchen. Einzelstunden, wie damals beim Segeln mit Dave!

Auf dem Tauchboot

In starker Strömung geht es bis auf 18,5 Meter herunter. Das ist das Maximum mit meiner Lizenz. Ich achte auf meine Technik und Paul gibt mir wertvolle Tipps nach den Tauchgängen. Meine Atmung habe ich mittlerweile im Griff. Und auch Höhen- und Richtungskontrolle funktionieren immer besser.

Wie schade, ich würde so gerne weitermachen! Doch morgen breche ich nach Phnom Penh auf. Paul empfiehlt mir noch einen ultimativen Tauchplatz in Malaysia. Dort liegen Schiffswracks in 25 Meter Tiefe. Dafür bräuchte ich allerdings noch eine weitere Lizenz. Eine neue Lizenz? Ich lächle und reibe mir innerlich die Hände. Warum nicht? Und vielleicht gleich die für Nitrox dazu?

Für den Abend ist noch eine Feuershow in einer Bar angekündigt. Die will ich nicht verpassen. Junge Künstler zeigen ihr beeindruckendes Können. Ein idealer Ausklang meines Aufenthalts auf Koh Rong Sanloem.

Beseelt von den Erlebnissen und mir zukünftige Tauchabenteuer ausmalend gleite ich sacht in das Land der Träume.

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