Phare.

Die nächsten zwei Tage bleibe ich lieber im Hotel. Jeden Morgen sehe ich die Sonne in herrlichen Farben über der Stadt aufgehen und es zerreißt mir das Herz, dass ich nicht in Angkor Wat sein kann.

Erst am dritten Tag wage ich mich wieder heraus und besuche das Nationalmuseum, in dem die Geschichte des Landes und der Tempel eindrucksvoll dargestellt wird.

Die Khmer bauten die Anlage im 11. Jahrhundert. Neben den mit großen Wassergräben umgebenen Tempeln, die zunächst der Anbetung hinduistischer Gottheiten dienten, schufen sie riesige Bewässerungsbecken.

Das größte von ihnen ist bis heute erhalten und misst 8 km x 2,2 km mit einem Fassungsvermögen von 40 Mio. m2. Damit wurde es möglich, Reisfelder unabhängig von der Jahreszeit zu bewässern und 2,2t/ ha zu ernten. Zum Vergleich: In Europa waren es zu gleicher Zeit gerade einmal 0,2t Getreide/ ha.

Für die folgenden Tage ist Regen angesagt. Trotzdem will ich mein Glück nochmal versuchen. Diesmal bin ich pünktlich am Tempel, doch der Himmel ist grau. Wie schade. Ich besuche weitere Anlagen auf dem Gelände, doch die Dschungeltempel bleiben unauffindbar.

Am Nachmittag schreibt mir Rob, der Reisejournalist, den ich in Phom Penh kennengelernt habe. Er ist nach einem Stopp in Battambang in Siem Reap eingetroffen. Ob ich Lust hätte, am Abend Phare, einen kambodschanischen Zirkus, zu besuchen.

Obwohl ich kein Freund von Zirkus bin, vertraue ich Rob. Ich recherchiere nur kurz. Die Vorstellung bietet eine Mischung von Artistik, Schauspiel, Perfomance und traditionellem Tanz. Ich sage zu.

Vor der Aufführung treffen wir uns zum Abendessen. Ich liebe es, mich mit Rob zu unterhalten. Ich kenne sonst niemanden, mit dem ich über das Schreiben reden kann. Wir teilen die Leidenschaft, Geschichten zu erzählen.

Wir fachsimpeln über Themenauswahl, Finden passender Formulierungen, Aufbau der Texte und Rituale, uns in die richtige Stimmung zum Schreiben zu versetzen. Ich profitiere enorm von seinen Erfahrungen.

Schon immer habe ich gerne geschrieben, meistens Briefe (wer erinnert sich noch an diese wunderbare Kommunikationsform?) und Gedichte. Unzählige Texte habe ich in 30 Jahren meines Berufslebens für Schüler verfasst.

Doch das Schreiben übers Reisen ist neu. Den Blog habe ich als eine Mischung aus Tagebuch und Information für Daheimgebliebenen aufgesetzt. Mittlerweile verbringe ich viele Stunden mit dem Verfassen eines Beitrags, meist geht erst die 30. bis 40. Version online.

Es ist ein geheimnisvoller Prozess, der dabei vor sich geht. Es gilt, Erlebtes aus den Tiefen zu heben, ihm Leben einzuhauchen und es neu zu empfinden. Und dann beginnt der Kampf: um Worte; um Aufbau; um Relevanz.

Ein Schriftsteller ist jemand, dem das Schreiben schwerer fällt als anderen.

Th. Mann

Wir plaudern so angeregt, dass wir fast vergessen, zum Zirkus aufzubrechen. Er hat eine außergewöhnliche Geschichte:

Nach der Herrschaft der Roten Khmer verfiel das Land in den Bürgerkrieg. Viele Menschen flohen oder wurden vertrieben. Mit dem Pariser Abkommen endete er.

Unter den Rückkehrern waren 9 Jugendliche. Sie trafen auf einen französischen Lehrer, der die Idee hatte, traumatisierten, von Armut und Missbrauch Betroffenen durch Kunst therapeutisch zu helfen. Sie wurden die ersten Artisten. Daraus entstand die Schule „Brightness of Art“.

1200 Schüler besuchen sie heute. Aufgenommen werden vornehmlich Kinder und Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen. Unter den Künsten, die unterrichtet werden, findet sich auch eine Artistenschule. Dieser Bereich betreibt den Zirkus und seine Einnahmen kommen der Schule zugute.

Es wird ein außergewöhnlicher Abend. In einer Geschichte kunstvoll verpackt präsentieren sie Jonglage, Akrobatik, Tanz, Schattenspiel und Theater. Sie brauchen nicht viele Worte. Sie spielen mit Freude, Begeisterung und Witz, ziehen uns in ihren Bann.

Hinterher sage ich zu Rob: „Es ist doch unglaublich, dass wir Menschen im Grunde genommen eine Sprache sprechen: die des Herzens.“ Nach den Erlebnissen in Phnom Penh finde ich den Glauben an das Gute im Menschen wieder.

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