Ha Giang Loop 5.

Ich wache vor Sonnenaufgang auf. Eine fahle Helle fällt in mein Zimmer. Ich schnappe mir meine Kamera. Ich will den Sonnenaufgang fotografieren.

So leise ich kann, schleiche ich mich den hölzernen Balkon entlang und die knarzende Treppe herunter. Unten lege ich alles bereit und warte.

Und ich werde belohnt. Im Westen verfärbt sich der Himmel violett und feiner Dunst hüllt die Basis der Berge. Abwechselnd mache ich Fotos nach West und Ost, suche die besten Winkel. Eine schöne Serie entsteht.

Schließlich kommt der junge Hostel-Besitzer und schaut verwundert, was ich tue. Gestern erzählte er mir, dass seine weiteteste Reise ein Besuch von Hanoi war. Die Hauptstadt Vietnams (Ho-Chi-Minh-City) hat er nie gesehen.

„Ich bin gerne hier. Das ist ein schönes Stückchen Land. Ich habe das Hostel von meinen Eltern geerbt und werde es weiterführen“, sagte der 25-Jährige.

Ich frage ihn, ob es hier immer so schöne Sonnenaufgänge gäbe. „Ja, das ist ganz normal“, ist seine Antwort. Wir schauen uns beide verwundert an.

Nach einem starken Kaffee packe ich meine Sachen und verschnüre alles auf dem Motorrad. Nach einem weiteren zahle ich und fahre bei strahlendem Sonnenschein los. Doch noch ein warmer Tag auf dem Loop!

Der Weg wird wieder herausfordernd. Wasser hat fast überall den Belag weggerissen. Die Straße führt über einen Pass in Tal hinein, das sich rasch weitet.

Plötzlich scheinen von überall her Motorroller zu kommen. Manch alte Omi auf so einem Gefährt, dessen Reifen schon lange kein Profil mehr gesehen haben, überholt mich hupend.

Irgendwann fahre ich hinter einem Bus her, dessen Abgase wahrscheinlich nie überprüft wurden. Als er plötzlich stehen bleibt, verschaffe mir seitlich einen Blick: der Beginn eines Städtchens.

Auf der Hauptstraße sind viele Menschen unterwegs. Ich nutze die Gelegenheit und überhole den Bus.

Je weiter ich in die Stadt hineinfahre, desto voller wird es. Es ist Markttag. Die Stände sind auf der Hauptstraße aufgebaut und Massen schieben sich hindurch. Alle haben Festtagskleidung an, auch die Kinder.

Ganz langsam suche ich mir mit der Maschine einen Weg durch das Gewühl. Die Menschen schauen mich verwundert an, als ob sie sich fragten, warum jemand an einem solchen Festtag nicht ihren Markt besuchen wollte.

Auf der anderen Seite führt die Straße in ein tief eingeschnittenes Kerbtal. Und plötzlich weiß Google Maps nicht mehr weiter. Die Karte ist weiß.

Also umdrehen und nach Empfang suchen. Endlich bekomme ich Signal. Ich muss eine Kreuzung verpasst haben und bin weit vom geplanten Weg abgekommen. Maps berechnet eine neue Route. Jetzt schnell die Karte abspeichern.

Wieder umdrehen und los. Der Flüsslein, das so idyllisch neben mir herfließt, muss während der Regenzeit zu einem reißenden Strom anschwellen. Von Straße ist nicht hier mehr zu reden, das ist ein Geröllweg.

Nun meint die Navigation auch noch, ich solle rechts abbiegen. Aber da ist nichts – nur der Fluss.

Schließlich entdecke ich die Überreste einer Brücke. Ein paar Meter weiter unten hat jemand aus einigen Brettern einen Holzsteg in drei Metern Höhe über das Wasser gezimmert:

60 cm breit, kein Geländer, erst waagerecht und dann im 45 Grad-Winkel an das andere Ufer steigend. Ich halte und überlege, ob ich das wagen soll.

Bis zu der Wegkreuzung, an der ich falsch abgebogen bin, sind es dreißig Kilometer. Wieder durch den Markt und über extrem schlechte Straßen.

Der Steg ist nicht breit genug, um das Motorrad zu schieben. Außerdem würde ich so nie den Anstieg meistern.

Wenn ich darüberfahre, muss ich es einem Zug schaffen. Anhalten kann ich auf dem glitschigen Ding nicht. Dann falle ich hinunter in den mit Geröll verblockten Fluss.

Hält mich der Steg mit der schweren Maschine überhaupt aus? Schafft sie beladen den steilen Anstieg?

Während ich noch überlege, kommen in kurzer Zeit zwei Roller, biegen ab und fahren über den Fluss. Es geht also.

Nun: Mut sammeln, den Motor starten und nicht mehr nachdenken. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich das Motorrad in eine Linie mit dem Steg bringe.

Ich raste den ersten Gang ein, gebe Gas und lasse die Kupplung kommen. Während die Maschine anzieht und ich auf die Holzkonstruktion fahre, konzentriere ich mich lediglich auf einen Punkt: den Anfang der Straße am anderen Ende des Stegs.

Nun kommt der Teil, der 45 Grad ansteigt. Ich drehe den Gasgriff und will nur eins: da hoch, nicht stehenbleiben, nicht rutschen!

Als die Reifen wieder Straßenbelag unter sich haben, atme ich durch. Eigentlich wollte ich noch ein Beweisfoto meiner Heldentat machen, ziehe es dann aber vor, sofort weiterzufahren.

Die Straße windet sich durch einen Wald an der Flanke eines Bergs hinauf. Es riecht nach frischem Harz. Oben angekommen fahre ich durch kleine Dörfer, die Alten bestaunen den Touristen, der sich hierher verirrt haben muss.

Irgendwann geht es an der anderen Seite des Bergs wieder hinunter. Wiesen säumen den Weg und geben nach und nach den Blick auf ein malerisches Tal frei.

Ich genieße den Duft des Grases und die warmen Brisen, die darüber hinweg streichen. Ich komme durch ein letztes Dorf. Hier sind alle in Hochzeitsvorbereitungen eingebunden.

Jeder trägt etwas zu einem großen Pavillon: Tische, Bänke, Stühle, Essen. Es herrscht freudige Erregung.

Etwas außerhalb mache ich Halt, setze mich in eine Wiese am Hang und schaue über die liebliche Landschaft. Es ist so herrlich warm, dass ich fast alle Lagen ausziehen kann!

Nach einer Stunde zwinge ich mich zum Aufbruch. Es ist noch weit bis Ha Giang und ich muss das Motorrad heute zurückgeben.

Unten biege ich auf die große Landstraße ein und komme schließlich zu dem Ort, an dem ich in der ersten Nacht Quartier gemacht habe.

Jetzt noch die Maschine tanken und die letzten 40 km fahren. Die Serpentinen, die mir auf dem Hinweg leichte Schauer über den Rücken gejagt haben, nehme ich mit einem Lächeln.

Der Verkehr wird immer dichter: überall Laster, Busse, Autos und Motorräder. Als ich mich aus dem Gebirge heruntergeschraubt habe, lege ich nochmal einen kurzen Stopp ein und schaue zurück auf die Berge.

Freude und Stolz fluten an: „Das hast Du gewagt. Allein. Dich dem Abenteuer gestellt. Die Herausforderungen angenommen und gemeistert.“

Und untergründig fließt etwas Wehmut mit ein, dass das jetzt vorüber ist, ich bald das liebgewonnene Gefährt abgeben muss und es mit jemand anderen die Berge erkundet.

Bald darauf bin ich an der Unterkunft angekommen, lade mein Gepäck ab und fahre zum Vermieter. Dort gebe ich die Honda XLR 150 wieder ab und werde zum Fußgänger. Ein Taxi bringt mich ins Hotel.

Mit einem fetten Grinsen steige ich aus:

Nach dem Abenteuer ist vor dem Abenteuer!

Hinterlasse einen Kommentar