Hard Decisions.

Eigentlich geht es mir, von dem dick geschwollenen Knie abgesehen, richtig gut. Bei schönstem Wetter saß ich in den Cameron Highlands, sehe Gäste anreisen, Touren unternehmen, nach ein paar Tagen wieder abfahren.

Wie gerne hätte ich das auch gemacht! So blieb mir nur: Videos schneiden, Schreiben und Organisieren. Ich hatte auch Kontakt mit einer Tauchschule auf Tioman aufgenommen und mich für zwei weitere Kurse angemeldet.

Ich will noch tiefer hinunter, auf 45 Meter. Ben, ein deutscher Tauchlehrer dort, sagte mir zu, dass wir gleich zu Beginn der Saison, am 8. Februar anfangen könnten.

Stattdessen fahre ich nun wiederum ins Krankenhaus. Der Arzt ist vom Zustand des Knies nicht begeistert und überweist mich in die Notaufnahme. Gleich stehen drei Ärzte um mich herum und sind sich nicht sicher, wie man am besten weiter vorgeht.

Sie kontaktieren einen befreundeten Spezialisten in einem anderen Krankenhaus, schicken Fotos. Schließlich lautet der Beschluss: Ich muss in das Krankenhaus nach Kuala Lipis, 130km entfernt.

Verlegung

Über die Mittagspause des Hospitals fahre ich ins Hotel, packe ein paar Sachen zusammen, räume das Zimmer und gebe den Rest meines Gepäcks zur Verwahrung ab.

Mit Blaulicht geht es auf den kurvigen Straßen nach Kuala Lipis. Am Fahrer ist ein Formel 1-Pilot verloren gegangen. Ich amüsiere mich köstlich bei seinen Überholmanövern, während ich auf der viel zu kurzen Liege hin und her geworfen werde. Während die Fahrt normalerweise über 2 Stunden dauert, sind wir nach 1 ½ Stunden da.

Am frühen Abend erreichen wir die Klinik. Dort werde ich von zwei Ärztinnen aufgenommen, die am liebsten gleich mein Knie punktieren würden. Aber der Spezialist möchte sich erst selbst einen Eindruck am Folgetag verschaffen.

Auf Station

So werde ich auf die Station eingewiesen. Ein langer Gang, von dem kleine Säle ohne Abtrennung abgehen. In jedem Saal vier bis sechs Betten, nur mit Vorhängen voneinander abgetrennt. Mir wird ein Bett zugewiesen und ein Schlafanzug bereitgelegt.

Echt modisches Teil, längst gestreift, lässt Gefängnisatmosphäre aufkommen, dazu auf asiatische Körpermaße zugeschnitten. Die Hose reicht mir gerade bis über die Knie. Als ich ihn angezogen habe, lachen Personal und ich herzhaft.

Hier bin ich der einzige Europäer. An den Nachbarbetten sitzen Frauen neben ihren kranken Männern. Einige habe sich Liegen oder Gartenstühle mitgebracht.

Im Laufe der Zeit werde ich feststellen, dass das Personal nur die medizinische Versorgung übernimmt. Alle pflegerischen Aufgaben erledigen Angehörige, die auf Stühlen oder Liegen ebenfalls auf Station übernachten.

Unten habe ich einen Laden gesehen. Ich ziehe mir Straßenkleidung an und will einkaufen gehen. Gleich werde ich zurückgepfiffen, ein Patient hat die Station nicht zu verlassen. Nach einer Diskussion darf ich ausnahmsweise hinuntergehen.

Nach dem Einkauf verlasse ich kurz das Gelände, um eine Zigarette zu rauchen. Ein Sakrileg, wie ich später feststellen werde.

Ein Tag im Krankenhaus

Wecken um 5.45 Uhr: Grell flackern Neonleuchten auf. Gleich kommt eine Schwester, misst Blutdruck und -zucker. Die Werte werden in einer Patientenmappe eingetragen. Außerdem gibt es ein frisches Exemplar der totschicken Schlafanzüge.

Frühstück: zwei Scheiben Toast und ein nicht identifizierbares Getränk aus einem Becher, der schon lange nicht mehr wirklich sauber war.

Zwei weitere Mappen werden auf den Tisch gelegt und die ersten Medikamente ausgegeben. Für mich bedeutet das, dass mir das Antibiotikum intravenös verabreicht wird.

Plötzlich kommt Bewegung in die Station. Der Hauptakt des Klinikalltags beginnt: Auftritt Chefarzt mit großem Gefolge.

Jeweils eine(r) der Ärzt:innen in Ausbildung muss den Fall vorstellen. Meistens hat die Person den Patienten schon im Vorhinein untersucht.

Dann schreitet der Chef selbst ans Werk. Während er untersucht, stellt er Fragen an sein Gefolge. Ich kann die Gespräche gut verfolgen, sie werden in Englisch geführt.

Nicht selten laufen die Auszubildenden rot an, wenn sie die Antworten nicht wissen. Die Nicht-Befragten geben sich wissend. Wie in der Schule.

Der Chefarzt gibt Anweisungen für die weitere Behandlung. Diese trägt der Vortragende in die beiden Mappen für Medikation und Dokumentation ein.

Währenddessen zieht der Tross weiter und das Spiel beginnt am nächsten Bett von vorn.

Der Vormittag vergeht, Mittag um 11.30 Uhr. Reis mit etwas Gemüse. Dazu kommen entweder Fisch und Hähnchen, selten Ei. Das gibt es jeweils an zwei Tagen hintereinander. Praktisch, so kommen keine Fragen auf, was es geben könnte.

Dann macht die Schwester mit dem Blutdruckmessgerät wieder ihre Runde.

Nachmittags zieht die Medikamentenkolone ein. Zwei vollgepackte Wagen rollen heran. Pfleger und Schwestern konsultieren die Mappen, stellen Medikamente und Spritzen zusammen und verteilen sie.

Danach gibt so etwas wie Kuchen, das sich weder definieren lässt noch irgendeine Süße aufweist. Sehr gesund.

Nach dem frühen warmen Abendessen noch eine Medikamenten- und Blutdruckrunde.

Kurz vor dem Lichtlöschen ein letztes Mal Blutdruckmessen gegen 23 Uhr.

Rebell

Gleich am ersten Morgen ziehe ich nach der Visite meine Straßenkleidung an, zische an Ärzten und Pflegern vorbei. Ich bin so schnell, dass sie mich nicht zurückhalten können.

Diese Aktion bleibt nicht ohne Folgen: Als ich nach dem Einkauf im Laden auch noch das Gelände für eine Zigarette verlassen, dröhnt es aus den Außenlautsprechern.

Auf Englisch wird mir mitgeteilt, dass ich das Gelände nicht zu verlassen habe. Strafe bei Wiederholung: umgerechnet 80 Euro. Da wird Rauchen richtig teuer.

Ich muss mir etwas anderes überlegen. Da ich keine Angehörigen habe, hat der Arzt zwar das Einkaufen im Laden genehmigt, allerdings nur im Krankenhauspyjama. Mit dem komme ich aber nicht aus dem Gebäude heraus!

Auf jeder Ebene steht Security an den Fahrstühlen. Selbstverständlich auch am Ausgang.

Ich beobachte das Geschehen auf Station genau. Um 19 Uhr ist Schichtwechsel. Also schleiche ich mich zu dieser Zeit zu den Fahrstühlen und aus dem Krankenhaus hinaus.

Am Folgetag bearbeite ich den Chefarzt, dass ich in Straßenkleidung die Station verlassen darf. Das will er nicht genehmigen.

Erst als ich auf den wunderschön passenden Schlafanzug zeige und sage: „Come on. Give me some dignity, man!“, muss er lachen, legt mir kumpelhaft die Hand auf die Schulter und sagt: „Okay!“

Trotzdem weist mich die Braunüle in der Hand eindeutig als Patient aus. Also stecke ich beim Verlassen der Station die Hand in die Hosentasche.

Keinen Tag länger

Sechs Tage verbringe ich auf Station. Die Entzündung geht zurück, das Blutbild wird besser, doch das Knie bleibt geschwollen. Der Arzt will es nun operieren und die Flüssigkeit ablassen.

Doch die hygienischen Bedingungen im Krankenhaus lassen mich zweifeln: Schimmel an der Decke, Ameisen im Zimmer, von den Zuständen in Toilette und Dusche ganz zu schweigen. Ab und an fliegt ein Vogel durch die Säle.

Ich fasse den Entschluss: Sobald ich transportfähig bin, kehre ich nach Deutschland für die weitere Behandlungen zurück.

Das ist bitter, denn von Malaysia habe ich eigentlich nichts gesehen und die Tauchkurse muss ich jetzt auch absagen.

Nachdem ich die Angelegenheit mit dem Arzt bespreche, werde ich ohne Vorwarnung am Nachmittag entlassen.

Mit der Hilfe einer Krankenschwester organisiere ich ein Taxi nach Tanah Rata und sage dem Hotel Bescheid, dass ich überraschend komme.

Um 21 Uhr bin ich wieder in den Cameron Highlands.

2 Antworten zu „Hard Decisions.”.

  1. Gute Besserung an dich und dein Knie. Das sind ja wirklich gefängnisähnliche Zustände, die du da beschreibst…Aber für eine Zigarette wäre ich auch „ausgebrochen“. Alles Gute und viele Grüße, Anne

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  2. Lieber Thomas, da hast Du ja was mitgemacht! Aber auch das sind Erfahrungen einer abenteuerlichen Weltreise.

    Ein guter Entschluss zurück nach Deutschland zu kommen!

    Gute Besserung wünschen Anke & Wolfgang

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