Australian Trucker.

Ich fahre nordwärts auf der M1, die sich an der Ostküste Australiens entlangzieht. Gerade noch habe ich mich in mühsamer Kleinarbeit in 1 ½ Stunden 40 km aus dem Gebirge herausgearbeitet: meistens über unbefestigte Waschbrettstraßen aus Schotter und Erde, die sich halsbrecherisch ohne Randbefestigung an den Flanken der Berge herunterwinden.

Weitere 4 Stunden, rechnet Google, brauche ich für den Rest der 430 km langen Fahrt von Stans Farm nach Ballina.

Nach einem Tankstopp mache es mir im Fahrersitz bequem und suche eine Playlist mit deutschen Hits der 80er Jahre heraus. Neben mir der große Becher dampfenden Kaffees.

Jetzt auf die Auffahrt, in den Verkehr einfädeln, Tempomat auf 110 km/h einstellen (Höchstgeschwindigkeit in Australien!), Musik voll aufdrehen, mitgrölen.

Mit dem Kaffee in der Rechten und dem Steuer in der Linken blicke ich von meinem erhöhten Sitz des Campers auf den Verkehr vor mir.

Mein Van verwandelt sich zu einem der großen Roadtrucks mit viel Chrom, die ich hier schon so oft gesehen habe. Ich, der Asphaltcowboy, der verlässlich die verderbliche Fracht ans Ziel bringt.

Während ich der Straße folge, ziehen die Bilder der letzten 1 ½ Wochen an mir vorbei:

Rob

Schon am ersten Abend in Sydney treffe ich Rob, den Reiseschriftsteller, den ich vor 6 Monaten in Kambodscha kennengelernt habe. Ich habe Glück, denn er kommt soeben von einer Afrikasafari zurück.

Schon in fünf Tagen ist er wieder für ein halbes Jahr außer Landes, um die Reisen zu unternehmen, über die er später schreiben wird.

Wir treffen uns in einem Pub in der Nähe des Hostels, in dem ich für eine Nacht abgestiegen bin.

Wir ziehen durch mehrere Kneipen, trinken Bier und erzählen von unseren Reisen. Und natürlich: von Frauen. Seine aktuelle Freundin ist Indonesierin, die in Australien als Kindergärtnerin arbeiten will.

Obwohl sie ein Diplom aus ihrem Heimatland hat und Australien dringend Menschen aus dieser Berufssparte sucht, wird ihr Abschluss nicht anerkannt, nicht einmal zum Teil angerechnet.

Damit sie hier arbeiten kann, muss sie das komplette Studium absolvieren. Rob hilft ihr, sowohl finanziell als auch mit dem Englischen für die Facharbeiten.

„Weißt du“, sagt er und senkt ein wenig den Kopf, „es ist schön mit ihr. Wir freuen uns immer sehr aufeinander, wenn ich wiederkomme.

Aber, wir leben keinen Alltag. Das ist keine wirkliche Beziehung. Deshalb haben wir beschlossen, dass wir uns trennen, wenn ich jetzt wieder losfahre. Natürlich werde ich ihr weiterhin zur Seite stehen.“

Er macht eine Pause und spricht dann mit etwas belegter Stimme weiter: „Noch reise ich zu gerne. Die Welt zieht mich weiterhin hinaus. Es gibt noch so viel zu erleben!“

Wieder eine Pause, dann: „Willst Du noch ein Eis?“

Danach fährt er in seine kleine Wohnung am Stadtrand zurück und ich gehe in mein Hostel, von dem ich einen direkten Blick auf die Sydney Opera habe.

Am nächsten Morgen fahre ich mit U-Bahn und Bus an den Stadtrand von Sydney, um den Camper abzuholen.

Lost in Sydney

Mein schweres Gepäck habe ich im Hostel gelassen. Mit dem Wagen fahre ich zurück in die Innenstadt und lade es schnell in der Halteverbotszone ein. Ich will zu Helly Hansen, um mir Segelkleidung für die Altantikquerung zu besorgen.

Nachdem ich zwei Stunden erfolglos versuche, einen Parkplatz zu finden, gebe ich auf. Es gibt noch ein Geschäft eines anderen Herstellers. Dafür fahre ich quer durch die Stadt in einen der Außenbezirke.

Als ich dort ankomme, werde ich enttäuscht: „Wir sind ein reiner Großhändler. Sie müssen in ein Segelgeschäft!“

Nach mittlerweile 5 Stunden Stadtfahrerei bin ich vollkommen entnervt und beschließe, mich in den zwei letzten Tagen der Australienreise, wenn ich wieder in Sydney sein werde, darum zu kümmern.

Locked out

Mit einem Zwischenstopp fahre ich in die Blue Mountains. Der erste Campingplatz ist voll und ich steuere einen zweiten an, bei dem ich Glück habe. Am Nachmittag erkunde ich die Umgebung:

Für den nächsten Tag buche ich eine Buschtour, die verspricht, mich mit dem Leben der Aborigines und ihrer Mythologie näher bekannt zu machen und dabei einige Kultstätten zu besuchen.

Noch am Abend schreibt Evan, der Führer. Ob wir nicht die Tour verlegen könnten? Ich sei der Einzige, der für den Tag gebucht habe. Da ich aber immer weiter nordwärts unterwegs bin, gibt es für mich keine andere Möglichkeit. „Gut, denn morgen um 11 Uhr“, schreibt er zurück.

Am nächsten Morgen stehe ich früh auf und gehe ins Bad.

Da es gestern Nacht kalt war, habe ich meine Hose gar nicht erst ausgezogen, dafür aber die Taschen (samt Autoschlüssel) entleert und den Bus mit der Zentralverriegelung von innen abgeschlossen.

Bei dem Camper gleicher Bauart in Neuseeland blieb eine Tür, die man später von innen entriegelt hat, weiterhin offen.

Jetzt muss ich zu meinem Entsetzen feststellen, dass das bei diesem Van nicht der Fall ist. Ich habe mich ausgeschlossen!

Alles, wirklich alles ist im Auto. Nicht einmal mein Handy – geschweigen denn die Zigaretten – habe ich dabei. Ich weiß nicht einmal, wie spät es ist.

Verzweifelt probiere ich jede Tür. Verschlossen. Das Schiebefenster im Heck? Lässt sich keinen Zentimeter bewegen. Ich sehe den Schlüssel auf der Ablage. Er scheint hämisch zu grinsen.

Mittels des Fernsehers im Gemeinschaftraum finde ich heraus, dass es 7 Uhr ist. Das Büro öffnet um 9 Uhr. Wie soll ich jetzt jemanden verständigen? Gegen 8 Uhr taucht mein holländischer Nachbar auf.

Seine Frau macht mir einen Kaffee und leiht mir ihr Handy. Ich rufe die Nummer des Autovermieters an. Es meldet sich das neuseeländische Büro:

„Die Kollegen in Australien schlafen noch, es ist Samstag“, sagt die Stimme am Telefon. „Ich werde denen eine E-Mail schreiben, die rufen sie dann an. Aber dass sie es gleich wissen: Die Sache ist nicht von ihrer Versicherung gedeckt!“

Um 9 Uhr hat sich noch niemand gemeldet und ich gehe in das Büro des Platzes. Ob sie jemanden wissen? Sie beratschlagen, kramen in Visitenkarten herum und finden schließlich eine Nummer.

Wir haben Glück. Obwohl es Samstag ist, meldet sich jemand. „Wir sind dann so in einer ¾ Stunde da.“

Das wäre gegen 10 Uhr. Mist, das wird knapp. Für die Buschführung muss ich noch 45 Minuten zum Treffpunkt fahren.

Das Büro ruft den Evan, den Führer, an. „Kein Problem. Melde dich, wenn du losfahren kannst.“

Um 11.30 Uhr taucht endlich der Truck des Mechanikers auf. „Hi, ich bin Robert. Das, was dir passiert ist, geschieht oft bei diesem Typ.“ Ein schwacher Trost.

Dann kramt er sein Werkzeug aus dem uralten LKW hervor und macht sich ans Werk. Doch das Auto leistet erbitterten Widerstand. Erst nach einer Stunde hat er die Tür offen.

Im Anschluss versucht er noch, mit mir ein Gespräch über Gott anzufangen. So schnell es geht, würge ich es ab. Ich zahle die 330 AUD (etwa 200 Euro), mache mich kurz frisch und fahre los.

„Wenigstens sind die Sachen im Auto doch recht sicher“, denke ich. Gegen 13 Uhr bin ich am Treffpunkt.

Im Busch

Australien habe ich mir immer ganz anders vorgestellt. Wir kennen alle die Bilder von rotem Sand und Dornenbüschen unter brennender Sonne. Doch hier an der Ostküste ist es grün und zuweilen regnerisch.

Evan führt mich in den Busch, zu dem ich eher Wald sagen würde. Er zeigt mir essbare Pflanzen und spricht über seine Vorfahren. Dabei sieht er eher wie ein Weißer aus.

Er versichert mir, dass seine Familie von den Aborigines abstamme und er auch die Einweihungsriten durchlaufen habe.

Dann spricht er von der australischen Mythologie: der Traumzeit, der Regenbogen-, der männlichen und der weiblichen Schlange und den Songlines.

Wir kommen zu einigen Kultstädten und Evan erzählt mir die Geschichten, die die Steinritzungen darstellen sollen. Ein klares Bild will sich für mich nicht einstellen.

Ganz zum Schluss machen wir Rast an der ungewöhnlichsten Sandsteinformation, die ich je gesehen habe. Ich kann mich gar nicht sattsehen und wäre gerne noch länger geblieben.

Farmlife

Von den Blue Mountains fahre ich zu Tirrintippin, Stans Farm. Ihn hatte ich auf dem Foodmarket in Luang Prabang (Laos) kennengelernt. Seine Farm liegt auf einem Hochplateau, 40 km landeinwärts in den Bergen.

Auf dem Navi sehe ich, dass sich ganz in der Nähe der Farm die Ellenborough Falls, der zweitgrößte Wasserfall Australiens befindet. Also mache ich einen kurzen Abstecher dorthin, bevor ich zu Stan fahre.

116m stürzt hier das Wasser in die Tiefe. Der Parkplatz befindet sich am oberen Punkt.

Es ist später Nachmittag und ich will zum Abendessen da sein. Also steige ich die 460 Stufen zum Fuß des Falls rasch hinab.

Unten in dem tiefen Taleinschnitt angekommen, schlägt mich der Zauber des fallenden Wassers in seinen Bann. Eine ganze Weile schaue ich diesem grandiosen Schauspiel zu und kann mich nur schwer aufraffen, wieder hinaufzusteigen.

Kurz vor der Farm hüpft vor mir ein Wallaby, ein mittelgroßes Känguru, über die Straße.

Bei Stan angekommen stelle ich meinen Camper auf einer Wiese ab und schaue mich um.

Hier regiert das Chaos. Alle möglichen Projekte scheinen angefangen, aber nie zum Abschluss gekommen zu sein. Material liegt überall wild durcheinander.

Dazu führen ineinander gesteckte Verlängerungskabel von einigen zentrale gelegenen Punkten aus in die gesamte Peripherie. Diese Tentakel finden sich draußen wie drinnen und scheinen der Standard der elektrischen Installation hier zu sein.

Stan und seine drei 19jährigen Wwoofferinnen (Wwooff = Worldwide Opportunities on Organic Farms) begrüßen mich freudig. In der Küche sind die Schubladen ausgebrochen, ab- und unabgewaschenes Geschirr stapeln sich.

„Nicht mehr als ein Gerät auf einmal anschalten“, warnt mich eine der jungen Frauen, „sonst fliegen die Sicherungen raus!“ Kann ich mir lebhaft vorstellen.

Wir plaudern bis spät in die Nacht. Später sitze ich noch allein in dem mir zugeteilten Gebäude und frage mich, wo ich hier hingekommen bin.

Es ist kurz nach Mitternacht: Draußen höre ich Schritte, dann so etwas wie scharfe Krallen auf dem Blechdach über mir. Unablässig schaben sie quietschend auf dem Dach. Mit Gänsehaut verkrieche ich mich in meinem Bett.

Am nächsten Morgen frage ich Stan nach den Geräuschen. „Ach, das sind Possums. Die sind nachtaktiv.“ Und google schnell und sehe diese wirklich putzigen Beuteltiere.

Für sie sowie für Vögel und Fledermäuse hängen wir Nistkästen, die die Wwoofferinnen gebaut haben, im Busch auf.

Nachmittags fahren wir zu Warren, dem Besitzer der Nachbarfarm. Zu ihr gehört ein hochgelegener Aussichtspunkt, von dem wir die ganze Umgebung rundum bewundern können.

Nach einem Picknick steht Arbeit an: In glühender Sonne rechen wir Heu zusammen, stopfen es in den Anhänger und auf die Ladefläche von Stans Pickup. „Für die Schafe“, meint Stan.

Beim Abendessen komme ich auf die gewagte elektrische Installation zu sprechen. Als Stan merkt, dass ich mich mit diesen Sachen auskenne, äußert er eine Bitte:

„Da, wo die Mädels wohnen, gibt es einen Wasserboiler. Der wird, besser wurde, von einem Timer angesteuert. Bei einem Gewitter ist ein Blitz in die Leitung eingeschlagen und hat ihn zerstört.

Jetzt sind die Damen schon wochenlang ohne warmes Wasser zum Duschen. Könntest Du vielleicht einen neuen einbauen? Ich hab‘ ihn auch schon gekauft.“ Klar kann ich.

Am nächsten Tag schaue ich mir das Ganze genauer an. Stan hat noch ein paar zusätzliche Bitten zu der Installation. Dann stelle ich das Material zusammen.

Während er mit den Wwoofferinnen die Tiere versorgt, mache ich mich an die Arbeit. Erst einmal alles Alte raus und dann anständig komplett neu aufbauen.

Nach dem Mittag fahren alle außer mir in die Stadt: ein weiterer Wwooffer wird abgeholt. Die Mädels freuen sich schon sehr auf den jungen Japaner.

Als sie zurückkommen, läuft der Boiler wieder. Ich rieche von oben bis unten nach Schwein und Schaf aus dem Stall, in dem ich den ganzen Tag installiert habe.

Am nächsten Morgen mache ich mich abfahrbereit. Auch mein ganzer Camper stinkt nach Stall. Beim nächsten Campingplatz werde ich alles waschen müssen.

Als ich abfahrbereit bin, ist von Stan und den Wwooffern nichts zu sehen. Schließlich finde ich sie im Schafstall, wo sie die Tiere einer Wurmkur unterziehen.

Schnell noch ein paar Abschiedsbilder, dann fahre ich los.

On the Road again

Ich schaue aufs Navi. Die Stunden auf der M1 sind mit den Erinnerungen rasch vergangen. Nur noch 50 km. Die kriegen mein „Truck“ und ich jetzt auch noch rum! Nach einer ¾ Stunde rolle auf den Campingplatz in Ballina.

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