Dingos und Schlangen.

Von Ballina aus will ich in die Nähe von Brisbane. Doch es ist schwer, einen Campingplatz zu finden. Nicht, dass es keine gäbe.

Aber von 10 Plätzen hat jeweils nur einer eine Internetpräsenz. Und die, die eine haben, sind komplett ausgebucht. Was ich nicht bedacht hatte: In Australien haben die Osterferien begonnen.

Also versuche ich, Campingplätze anzurufen. Keiner geht dran. Schließlich habe ich Glück. Aber nur halb, denn ich bekommen nur einen Platz ohne Stromanschluss. Das bedeutet, dass mein Kühlschrank nicht funktioniert.

Die Strecke dorthin ist von Ballina aus nicht weit. Doch, als ich in den Bergen ankomme (an der Küste war die Suche nach einem Platz aussichtslos), stelle ich fest, dass ich die falsche Adresse eingegeben habe.

Was war passiert?

Bei der Suche nach Campingplätzen lasse ich mir immer deren Lage anzeigen. Auf dem Handy habe ich zwei verschiedene Apps dafür.

Zum Vergleich der Lage beider Plätze hatte ich den ersten in der einen App, die zweite in der anderen eingegeben. Und dann startete ich die Navigation in der falschen App von beiden.

Das Ergebnis: Ich muss noch einmal 1 ½ Stunden aus dem Gebirgszug wieder herausfahren! So wird aus ursprünglich einer Stunde knapp 3 Stunden Fahrt.

Krise

Als ich ankomme, sinkt meine Stimmung. Der Platz ist zu großen Teilen morastig, ich habe keinen Strom und für meine Nachbarn heißt Camping anscheinend Party machen.

Dann erreicht mich eine Mail von Stan: „Hoffe, Du bist gut angekommen. Die Mädels sind sehr froh, endlich heiße Duschen zu haben. Bitte, komm bald wieder!“

„Ja, Stan“, denke ich. „Auf Deinem Hof habe ich mich trotz des Chaos wohlgefühlt. Mein Schritt wurde gegründeter, erdiger, alle Abläufe waren mir so selbstverständlich.“

Anmerkung: Meinen Zivildienst habe ich auf einem Hof in der fränkischen Schweiz absolviert. 18 Monate, die prägen.

Gerne wäre ich noch bei Stan und den Tieren geblieben. Dann hätte ich auch mal James, den Wallach, reiten können! Mit ihm hatte ich mich in der freien Zeit schon angefreundet.

Nächster Morgen, es ist Karfreitag, der Tiefpunkt. Obwohl das Wetter aufklart und ich eigentlich eine Bergwanderung machen will, kann ich mich nicht aufraffen.

Ich hadere mit allem. Am liebsten würde ich direkt nach Puerto Rico fliegen und lossegeln.

Meine Recherchen im Internet ergeben, dass ich die vielen Sachen, die der Reiseführer vorschlägt, nicht sehen kann. Es gibt einfach keine buchbaren Campingplätze.

Immer wieder nehme ich das Handy zur Hand, recherchiere, finde keine Übernachtungsmöglichkeit in deren Nähe und lege es entnervt nach 20 min wieder weg.

Alle verfügbaren Plätze liegen viel weiter nordwärts und sind nur buchbar, wenn man mindestens drei Nächte bleibt.

Zwischendurch frage ich mich, ob ich jetzt – rein hypothetisch – lieber zurück nach Deutschland will. Aber auch diese Option reizt mich nicht.

Während ich mich immer weiter in die schlechte Laune hineingrabe, erreicht mich eine Nachricht von meinem Vater: Er ist auf der Treppe gestürzt und liegt mit Oberschenkelhalsbruch im Krankenhaus.

Kehrtwende

Am darauffolgenden Tag dämmert mir langsam, was ich ändern muss:

Australien ist sowohl ein Land als auch ein Kontinent. Man kann in vier Wochen nicht alles sehen. Du hattest Dir in Neuseeland geschworen, nicht jeden Tag zu fahren.

Nutze die Gelegenheit. Buche weiter auseinander liegende Plätze und bleibe dort für längere Zeiträume. Dann fährst Du halt lange Strecken zum nächsten Ziel!

Und: Ob es Dir passt oder nicht, Du musst hier unbedingt vorplanen.

Mit diesem neuen Mindset buche ich einen 400 km entfernten Platz für drei Tage und mache mich am nächsten Morgen auf den Weg.

Heyers Bay:

Die Fahrt verläuft glatt. Als ich auf dem Campingplatz ankomme, können sie meine Buchung nicht finden.

Dann dämmert es mir: Ich habe bei der Buchung statt des 31. März den 01.April eingegeben. Glücklicherweise finde ich noch etwas in der Nähe.

4 Tage Heyers Bay. Ich will zum Fraser Island und, wenn es geht, Tauchen gehen.

Fraser Island

Ein geländegängiger Kleinbus holt mich ab. Als alle Teilnehmer eingesammelt sind, fahren wir zur Fähre und setzen bei strahlendem Sonnenschein über.

Dave, unser Führer, macht uns mit den Sicherheitsregeln für die Insel vertraut. Auf Fraser Island, heute nach K’gari genannt, leben Dingos.

Sie stammen ursprünglich von Haushunden ab, verwilderten und näherten sich wieder mehr den Verhaltensweisen von Wölfen an.

Sie jagen im Rudel und gehen Kinder, aber auch Erwachsene an. Meist wird ein Alphatier vorgeschickt, während der Rest im Busch wartet. Gibt es das Signal zum Angriff, kommt das Rudel zur Hilfe. Wir sollen in der Gruppe beständig zusammenbleiben.

Diese Sicherheitsmaßnahme ist berechtigt: Zwei Tage darauf höre ich im Radio, dass ein Kind am Tag nach unserer Tour von Dingos angefallen und verletzt wurde.

Auf Fraser Island angekommen, queren wir die 120km lange und bis 20km breite Insel. Eine abenteuerliche Fahrt auf tiefeingefahrenen, schmalen Sandpisten.

Wir werden kräftig durchgeschüttelt. Den ersten Teilnehmern wird übel. Bald steigt säuerlicher Geruch in der Kabine auf.

Schließlich erreichen wir den Oststrand: Weite, feste Sandflächen, die gleichzeitig die Hauptverkehrsader der Insel bilden.

Unser Fahrer beschleunigt auf 80 km/h. Am Rand des Strands sausen Geschwindigkeitsschilder an uns vorbei. Zwischendurch: „Vorsicht Landebahn“! Tatsächlich landen hier auch kleine Flugzeuge, wie ich später feststellen werde.

Wir fahren zu den Pinaccels Coloured Rock, einer Sandsteinformation in verschiedenen Farben, die in früheren Zeiten den Frauen der Ureinwohner vorbehalten war.

Danach geht es zum Maheno Shipwreck. Von dem gestrandeten Luxusdampfer ragen heute nur noch zwei der ehemalig 6 Decks aus dem Sand hervor.

In der Mittagspause unterhalte ich mich mit Felicia, Roman und deren Mutter, einer Familie aus Frankfurt. Roman steht gerade vor dem Abitur und überlegt, für ein Jahr nach Australien zu gehen.

Ihm gefällt das Land. Er wollte eigentlich mit zwei Freunden das Jahr hier verbringen, doch die sind abgesprungen. Nun fragt er sich, ob er das alleine machen sollte.

Ich rede ihm gut zu. Allein zu reisen ist eins der besten Dinge, die es gibt! Ich versorge ihn mit Tipps, worauf er achten und was er unbedingt zeitnah erledigen muss (wie bspw. Impfungen).

Im Laufe unserer Unterhaltungen während der Tages wächst sein Selbstzutrauen immer mehr. Lieber Roman, wenn Du das hier liest: Zieh es durch! Das wird eine großartige Zeit!

Der nächste Stopp ist Eli Creek, ein Süßwasserfluss, der im Meer mündet. Wir treffen auf eine wahre Armada von Geländefahrzeugen mit Australiern, die auf der Insel Urlaub machen. Hier sehen wir auch unseren ersten Dingo und halten gebührenden Abstand.

Danach fahren wir wieder ins Inselinnere und laufen durch den Regenwald. Am Rand eines Baches entdecken wir einen australischen Eisvogel, den Kingfischer.

Zudem zeigt uns Dave noch drei Eulen, die hoch oben im Baum, dicht beieinander auf die Dunkelheit warten.

Zum Abschluss geht es an den Lake Mackenzie. Weißer Sandstrand und herrliches Wasser laden zum Sonnen und Schwimmen ein.

Die vorletzte Fähre bringt uns zurück aufs Festland. Als die Sonne blutrot in Meer versinkt, weiß ich:

Jetzt bist Du in Australien angekommen!

Tauchen

Gleich am nächsten Morgen fahre ich zur Tauchschule. Ich muss endlich wieder einmal unter Wasser. Zwei Tauchgänge habe ich gebucht.

Ich treffe auf Tomo und Ed, meine Instruktoren für heute. Gleich beim Erledigen des Papierkrams wird deutlich, wie relaxed die Australier sind.

Als ich vorsichtig nach einem Kaffee frage, wird einfach alles stehengelassen und erst einmal das schwarze Lebenselexier zubereitet.

Mit von der Partie sind der 12jährige Carter und seine Mutter. Carter hat heute seine praktische Prüfung für den Open Water Schein. Seine Mutter, selbst Taucherin, fragt ihn noch einmal ab und gibt ihm noch ein paar Ratschläge.

Wir fahren zur Goori, einem kleineren Wrack. Eigentlich wäre ich viel lieber zur HMAS Tobruk, einem Kriegsschiff aus dem zweiten Weltkrieg, getaucht. Aber die Tour dorthin gibt es nur am Wochenende.

Nachdem Carter seine ersten Übungen im Wasser absolviert hat, machen wir uns auch fertig und tauchen hinab.

Nach einigen Minuten kommt das kleine Wrack, das in 12 Metern Tiefe liegt, in Sicht. Ed führt uns um und durch das Wrack.

Carters Mutter gesellt sich schließlich zu ihrem Sohn dazu. Ed und ich machen allein weiter.

Für den zweiten Tauchgang schlägt er vor, dass ich vorantauchen soll. Hui, das habe ich noch nie gemacht!

Die Strömung hat zugenommen. Bald merke ich, dass ich zu viel Kraft und damit Luft verbrauche, wenn ich außerhalb des Wracks bleibe.

Also tauche ich in die Frachträume hinein. Plötzlich bewegt sich etwas am Boden. Ist das ein Aal, eine Muräne oder Schlange?

Grüner Körper, braune Querbänderung, abgeflachtes Schwanzende. Vorsichtig nähere ich mich.

Eine Weile schwimmt das Tier vor mir weg. Doch dann macht es kehrt und kommt auf mich zu. Mir wird es ungemütlich.

Vorsichtig versuche ich, aus dem Weg zu gehen, doch es verfolgt mich. Alle meine Ausweichmanöver macht es mit. Als es schließlich von mir ablässt, scheint eine Ewigkeit vergangen zu sein.

Wieder an der Oberfläche frage ich Ed, um was es sich gehandelt hat. „Och, das ist eine Seeschlange, ihr Biss ist tödlich“, sagt er mit einer Gelassenheit, als ob er vom gestrigen Wetter erzählte.

„Keine Sorge, sie hat ein kleines Maul und kurze Zähne. Die Tiere sind harmlos und sehr neugierig. Ich hab mich köstlich amüsiert, als ich Dich beobachtet habe.“ Die australische Variante von: „Die tut nix, die will nur spielen“?

Tomo ergänzt noch: „Da müsste sie schon Dein Ohrläppchen oder den kleinen Finger kriegen, damit sie Dich beißen kann.“

Dass die Australier sehr gelassen mit diesen Themen umgehen, hatte ich schon bei meinen Reisevorbereitungen gelesen.

Sie sind es gewohnt, mit Bedrohungen umzugehen, beherbigt Australien doch die 21 giftigsten Tierarten der Welt.

Dieser Umstand gibt Rätsel auf, da diese Tiere – im Gegensatz zu allen anderen Arten der Erde – viel mehr Gift zur Verfügung haben, als sie zum Lähmen oder Töten ihrer Beute benötigen.

Eigentlich gilt in der Biologie das Gesetz der größtmöglichen Effizienz. Es wird immer nur so viel Material oder Energie verwendet, wie nötig.

Warum gerade das bei den erwähnten Arten anders ist und diese alle ausschließlich in Australien zu finden sind, konnte bisher nicht geklärt werden.

Später finde ich heraus, dass es sich bei meiner Begegnung um die Olivegrüne Seeschlange, eine der giftigsten Schlangen der Welt handelte. Das Gift eines einzigen Bisses reicht aus, um 20 Menschen zu töten.

Der Biss selbst, so lese ich, bleibt häufig sogar unbemerkt. Erst nach 3 bis 4  Stunden setzen die Wirkungen des Neurotoxins ein. Unbehandelt führen es zu Atemstillstand und Organversagen.

Zu Angriffen kommt es meist nicht bei Tauchern, sondern bei der Fischerei, wenn Fischer versuchen, die Schlange aus dem Netz zu entfernen.

Später erzählt mir noch jemand, dass ich Glück gehabt hätte, eine bei Tag zu sehen, denn die Tiere sind nachtaktiv. Normalerweise trifft man sie daher eher bei einem Nachttauchgang.

Auf der Fahrt zurück bin ich jedenfalls stolz, dass ich in der Situation recht ruhig geblieben bin. Das war – neben der Begegnung mit dem großen Stachelrochen – jedenfalls einer der aufregendsten Tauchgänge, die ich bisher unternommen habe.

Mal sehen, was demnächst das Great Barrier Reef zu bieten hat?!

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